„Schalke wäre mit Clemens Tönnies nicht abgestiegen“ – Neururer rechnet mit S04 ab
Um den FC Schalke 04 steht es dieser Tage schlecht. Ex-S04-Trainer Peter Neururer hat den Klub im exklusiven Interview mit RUHR24 massiv kritisiert.
Gelsenkirchen – Peter Neururer (67) ist nicht gut auf das Bundesliga-Schlusslicht FC Schalke 04 zu sprechen. Der ehemalige S04-Trainer sieht die Probleme aber nicht nur auf dem Platz – im exklusiven Interview mit RUHR24 knöpft er sich auch die Klub-Verantwortlichen vor. Der 67-Jährige sieht massig Probleme bei den Königsblauen, und nur eine Chance, aus der Misere herauszukommen.
Herr Neururer, der FC Schalke 04 hat in der Bundesliga-Rückrunde dreimal in Folge 0:0 gespielt. Taumelt der S04 langsam aber sich dem Abstieg entgegen oder erkämpft er sich Punkt für Punkt den Klassenerhalt?
Wenn ich Tabellenletzter bin, immer Unentschieden spiele und die Mannschaften, die vor mir stehen, mal punkten, dann mache ich keine Plätze gut. Dann habe ich noch ein ganz anderes Problem: Ich habe immer weniger Spiele. Seitdem Thomas Reis Trainer von Schalke 04 ist, hat die Mannschaft Struktur, die Mannschaft hat zuletzt Leistung gebracht, die der Mannschaft entsprechend war, aber es reicht im Augenblick immer noch nicht, einen weiteren Schritt nach vorne zu machen.
Der S04 hat im abgelaufenen Januar sechs neue Spieler verpflichtet und vier abgegeben. Für die Transfers gab es mitunter massive Kritik am FC Schalke 04. Wie bewerten Sie den abgelaufenen Transfer-Winter der „Knappen“?
Einen Mann wie Michael Frey zu holen, da frage ich mich: Wer hat den zuletzt gesehen? Ich wurde mal zu Tim Starke gefragt, da sagte ich: Kann ich nichts zu sagen, weil ich den als regelmäßigen Flügelspieler zuletzt in der 2. Bundesliga beim SV Darmstadt gesehen habe. Bei Union Berlin hatte er nur noch ein paar Einsätze, die ich nicht gesehen habe, deshalb kann ich mir darüber kein Urteil erlauben. Aber: Wenn ich sieben, acht Spieler verpflichte, über die man sich kein Urteil erlauben kann, dann darf ich mich nicht wundern, wenn nur wenige neue Spieler dabei sind, die Schalke 04 tatsächlich helfen.
Peter Neururer kritisiert S04-Bosse: „Transfermarkt nach dem Aufstieg war ein kompletter Reinfall“
Wen hätten Sie denn in der abgelaufenen Winterpause verpflichtet? Wer hätte die Mannschaft verstärken können?
Thomas Reis macht das schon richtig, Spieler aus der U23 hochzuziehen. Denn für Schalke 04 ist ja nichts finanzierbar. Das Problem ist aber doch: Verpflichtungen, die ich als Verein in der Winterpause tätige, um irgendetwas auszugleichen, sind Transfers, die ganz eindeutig zeigen, dass ich vorher Fehler gemacht habe. Wenn sich vier, fünf Leistungsträger verletzen, dann ist es nötig, zu reagieren. Aber wenn ich eine Mannschaft im Sommer umbaue, zehn Spieler verpflichte und im darauffolgenden Winter feststelle, dass es nicht passt, dann ist es ein Fehler derjenigen, die entschieden haben, welche Spieler kommen sollen.
Wie bewerten Sie den aktuellen S04-Kader?
Diese Mannschaft ist wesentlich schwächer als die Aufstiegsmannschaft. Da frage ich mich, was im operativen Geschäft passiert ist. Wer hat dort ein sportliches Urteil abgegeben? Wer hat die Leute zuletzt gesehen, die verpflichtet wurden? Wo haben die gespielt? Wie oft haben die gespielt? Der gesamte Transfermarkt nach dem Aufstieg war ein kompletter Reinfall. Wer diese Mannschaft zusammengestellt hat, da frage ich mich, wo der hingeguckt hat.

Was anschließend entstanden ist, war der Anfang und das Ende von Schalke 04.
Wurde das Gesicht der Mannschaft nach dem Aufstieg zu sehr verändert? Fehlt den neuen Spielern das berüchtigte S04-Gen?
Nein. Dieses S04-Gen gibt’s seit 20 Jahren nicht mehr, das ist nicht mehr vorhanden. Wäre es noch vorhanden gewesen, dann wäre Schalke 04 in die aktuelle Situation gar nicht hineingekommen. Das Chaos ging los, als Christian Heidel und Super-Trainer Domenico Tedesco Schalke 04 übernommen haben. Da hat man eine Vize-Meisterschaft errungen, doch anschließend überbezahlte Spieler mit null Perspektive verpflichtet. Schalke 04 ist zwar Vize-Meister geworden, aber 50 Prozent der Spiele, die sie gewonnen haben, hätten sie bei gleicher Leistung auch verlieren können. Dafür hat man sich gefeiert. Was anschließend entstanden ist, war der Anfang und das Ende von Schalke 04.
Christian Heidel und Domenico Tedesco arbeiten inzwischen lange nicht mehr auf Schalke. Auch Clemens Tönnies nicht, sein Name geisterte zuletzt aber durch Gelsenkirchen. Wie stehen Sie zu einer möglichen Rückkehr?
Wäre Clemens Tönnies nicht rausgeekelt worden, wäre Schalke 04 nicht abgestiegen. Das ist der erste Punkt. Der zweite Punkt ist: Wenn ich ihn ablehne, wofür es durchaus einen Grund geben mag, dann muss ich adäquaten Ersatz finden. Wenn ich den nicht finde, dann habe ich ein Problem und das hat man aktuell auf Schalke. Deswegen steht Schalke finanziell so schlecht da – sportlich und perspektivisch. Huub Stevens hat kürzlich im Doppelpass gesagt: „Das Erste, was ich machen würde, wäre Clemens Tönnies zurückzuholen.“ Dem stimme ich gänzlich zu.
Leider muss ich sagen, dass es Schalke 04 nicht schaffen wird.
Thomas Reis soll im Falle eines möglichen Abstiegs, der mit Blick auf die Tabelle nicht unwahrscheinlich ist, Trainer auf Schalke bleiben. Ist das die richtige Entscheidung?
Ja. Wenn ich einmal entschieden habe, dass er der richtige Trainer ist, dann ist er der richtige Trainer. Auf Schalke quatschen alle von Kontinuität, aber schauen wir uns doch mal an, was in den vergangenen Jahren auf Schalke passiert ist: Christian Streich, ein Extrem-Beispiel, trainiert seit mehr als zehn Jahren den SC Freiburg. In derselben Zeit hatte Schalke 04 weit mehr als zehn Trainer. Sind also immer die Trainer Schuld? Nein, die Trainer waren mit Sicherheit nicht alle blind. Es sollten diejenigen hinterfragt werden, die entscheiden, welche Trainer kommen, doch dies ist bei Schalke 04 leider nie der Fall gewesen.
Sie gehen mit dem S04 hart ins Gericht. Können Sie trotzdem optimistisch sein, dass der FC Schalke den Klassenerhalt schafft?
Als ehemaliger Trainer und aktuelles Mitglied von Schalke 04 habe ich große Hoffnung, die auch mit Thomas Reis verbunden ist: Er war bei mir Spieler, er war bei mir Trainer, ich weiß, was er kann. Er ist richtig gut, er ist im Augenblick auch der richtige Trainer für Schalke 04. Aber: Leider muss ich sagen, dass es Schalke 04 nicht schaffen wird.

Peter Neururer ist für S04-Ausgliederung: Schalke hat als e.V. „null Chancen“
Wie muss es auf Schalke nun weitergehen?
Es geht darum, diesen fast nicht mehr zu vermeidbaren Abstieg so zu moderieren, dass nicht alles wie ein Kartenhaus zusammenbricht. Wir brauchen nun die Lizenz für die 2. Liga und wenn wir diese haben, dann brauchen wir eine Mannschaft, die auf Dauer eine Perspektive hat. Diese muss in den kommenden Jahren das Gerüst bilden, auch im Falle eines erneuten Wiederaufstiegs. Ein erneuter Austausch des Kaders ist nicht möglich, vor allem nicht als eingetragener Verein.
Warum nicht?
Wie soll Schalke 04 als e.V. aus der Nummer herauskommen? Null Chancen. Wenn ich auf dem Klavier der Großen mitspielen möchte, muss ich mich öffnen. Dann muss ich ausgliedern, dann brauche ich Leute wie zum Beispiel Clemens Tönnies, um Schalke 04 wieder dorthin zu bringen, wo es mal war: in die Spitzengruppe des deutschen Fußballs. Doch um dies zu erreichen, brauchst du auch Leute, die sich in diesem Geschäft auskennen, da sehe ich im Augenblick auf Schalke niemanden.
Wen meinen Sie konkret?
Peter Knäbel ist ein toller Junge, aber wo hat der bisher gearbeitet? Im Nachwuchsbereich bei Schalke 04, da ist nichts Großartiges bei herumgekommen. Er hat als Technischer Direktor beim Schweizer Verband gearbeitet, da brauchen wir nicht drüber zu reden. Er hat beim HSV gearbeitet, das war ein bisschen unglücklich, aber was hat er ansonsten gemacht? Gerald Asamoah war ein toller Fußballer, ist ein guter Typ, er ist Schalker durch und durch – und Leiter der Lizenzspielerabteilung. Wo hat er in diesem Bereich jemals gearbeitet? Nirgends. Schalke ist im Augenblick mit Personen besetzt, die nicht die entsprechende Kompetenz und die Sachlichkeit besitzen.
Peter Neururer ...
... ist ehemaliger Trainer des FC Schalke 04 (11. April 1989 bis 13. November 1990) und aktives Mitglied des Klubs. Er trainierte in der Vergangenheit unter anderem den VfL Bochum, den MSV Duisburg und Hannover 96. Mit dem 1. FC Saarbrücken wurde er 1991/92 Zweitliga-Meister. Inzwischen ist der am 26. April 1955 (67 Jahre) in Marl geborene Fußball-Liebhaber als Experte für etwa Sport1 tätig.