Coronavirus-Strategie in der Kritik - Mediziner aus dem Ruhrgebiet: "Wir behandeln Patienten, die nicht zu retten sind"
Ein Arzt aus dem Ruhrgebiet übt Kritik an der Coronavirus-Strategie. Gehören alte und schwache Patienten mit Covid-19 auf die Intensivstation?
- Palliativmediziner Matthias Thöns aus Witten/NRW kritisiert die aktuelle Strategie bei einigen Covid-19-Patienten.
- Coronavirus-Infizierte* sollten nur in bestimmten Fällen intensivmedizinisch versorgt werden.
- Nicht nur die Aussichten auf Heilung spielten bei einer Behandlung eine Rolle.
Witten/NRW - Im Kampf gegen das Coronavirus stocken nicht nur die Krankenhäuser in NRW ihre Intensivbetten auf, sondern in ganz Deutschland. Menschenleben retten um jeden Preis, heißt derzeit die Devise.
Aber können wirklich alle Covid-19-Patienten gerettet werden - und ist das "sinnvoll"? Dr. Matthias Thöns, Facharzt für Anästhesiologie Notfall-, Schmerz- und Palliativmedizin aus Witten stellt die aktuelle Coronavirus-Strategie jedenfalls infrage, berichtet RUHR24.de*.
Covid-19: Ist Strategie gegen Coronavirus sinnvoll? Kritik von Arzt aus Witten
Im Gespräch mit dem "Magazin für Endlichkeitskultur" Drunter & Drüber sagte Thöns, dass Covid-19 eigentlich keine intensivmedizinische Erkrankung sei. Es seien im Schnitt über 80-jährige Patienten schwer betroffen, die in den allermeisten Fällen multimorbid, also mehrfach erkrankt seien.
Diese würden durch das Coronavirus (hier geht es zum NRW-Ticker*) eine Lungenentzündung bekommen und die sei dann wiederum tödlich. Ein Großteil dieser Patienten sei laut Thöns schon immer palliativ (sterbebegleitend) versorgt worden.
"Früher nannte man die Lungenentzündung am Ende des Lebens den Freund des alten Menschen. Und jetzt geht man her, diagnostiziert die Corona-Infektion und macht daraus einen Intensivfall und kann die Patienten natürlich trotzdem nicht retten. Die sind einfach zu schwer krank.", so Thöns gegenüber Drunter & Drüber.
Coronavirus: Experten geben Tipps zum Umgang mit Covid-19-Patienten
Rückenwind erhält Thöns auch von der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin. In einem Papier, in dem Entscheidungsgrundlagen für die Aufnahme von Patienten auf der Intensivstation aufgeführt werden, heißt es wörtlich, eine Intensivtherapie sei nicht ratsam, wenn:
- der Sterbeprozess unaufhaltsam begonnen hat,
- die Therapie als medizinisch aussichtslos eingeschätzt wird, weil keine Besserung oder Stabilisierung erwartet wird oder
- ein Überleben an den dauerhaften Aufenthalt auf der Intensivstation gebunden wäre.
- Patienten, die eine Intensivtherapie ablehnen, werden nicht intensivmedizinisch behandelt. Dies kann auf der Grundlage des aktuell geäußerten, erklärten (z.B. in einer Patientenverfügung), früher mündlich geäußerten oder mutmaßlichen Willens erfolgen.
Matthias Thöns: Covid-19-Patienten wollen Behandlung meist gar nicht
Auch im Hinblick auf das Thema des Patientenwillens hat Palliativmediziner Thöns eine Meinung. "Wir machen jetzt hier eine intensivmedizinische Supervorsorge, kaufen teure Geräte, machen Wochenendkurse für medizinisches Personal für eine Gruppe, die das in den meisten Fällen gar nicht will." Das aktuelle Handeln vieler Entscheider bezeichnet der Fachmann als "Panikmodus".
Derzeit (Stand 8. April) seien die Intensivbetten in Deutschland noch relativ leer. Beatmungsgeräte seien frei. Aus Umsatzgründen könnten Krankenhaus-Geschäftsführer laut Thöns also demnächst auf die Idee kommen, alte Menschen aufzunehmen. "Wir werden in 14 Tagen die Stationen voll haben mit nicht-rettbaren, multimorbiden Alten. Und wenn die dann an den Geräten sind, stellt sich die Frage, wer die wieder ausschaltet. Das ist doch dann ein Tötungsdelikt", meint der Mediziner aus Witten. Es drohe eine "ethische Katastrophe" aus Geldgier.

Bei seinen Ausführungen verweist Thöns zudem auf die Gefahr für das Klinikpersonal, das durch "nicht zwingend notwendige Einweisungen" mit Covid-19-Patienten gesteigert würde. Die meisten Ansteckungen im Krankenhaus kämen beim Intubieren, Absaugen, oder Bronchoskopien zustande.
Coronavirus: Nur Covid-19-Patienten behandeln, die das auch wollen
In einem Artikel auf Bibliomed, den Thöns zusammen mit Dr. Thomas Sitte von der Deutschen PalliativStiftung verfasst hat, fordern die Palliativ-Experten: "In die Klinik und an ein Beatmungsgerät gehören nur Betroffene, die das auch wollen."
Zudem verweisen Thöns und Sitte auf die "äußerst hohe Sterblichkeit", die alte und beamtete Covid-19-Patienten in China aufzeigten. 17 Prozent der Patienten dort hätten ein beatmungspflichtiges Lungenversagen. Besonders bei alten Covid-19-Patienten sei die Sterblichkeit selbst bei einer optimalen Behandlung hoch.
Ungeregelt ist es natürlich nicht, welche Covid-19-Patienten behandelt werden und welche nicht. Erst kürzlich haben sieben medizinischen Fachgesellschaften in Deutschland Kriterien dafür neu verabschiedet.
In NRW gibt es weitere Lockerungen in der Coronavirus-Krise - was bedeutet das jetzt für die Einwohner im Bundesland.
Nicht jeder Covid-19-Patient wird zwingend behandelt
Grundlage für die Entscheidungen, wer nicht intensivmedizinisch behandelt werden kann, seien die medizinische Indikation - also der medizinische Grund für eine Maßnahme - sowie der Patientenwille.
Dazu heißt es von Alfred Simon, Geschäftsführer der Akademie für Ethik in der Medizin gegenüber dem Deutschlandfunk: "Wenn diese Mindesterfolgswahrscheinlichkeit nicht gegeben ist, dann wird man die Therapie nicht beginnen, gegebenenfalls sogar beenden, um jemand anderen, der mit der Therapie eine bessere Überlebenswahrscheinlichkeit hat, das Überleben zu ermöglichen."
Wie es nach dem 19. April weiter geht, erfahren wir am Mittwoch (15. April). Auf Grundlage der Stellungnahme der Leopoldina-Akademie beschließt die Bundesregierung mit den Ministerpräsidenten der Bundesländer, welche Maßnahmen bleiben und welche gelockert werden.
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