Stärken finden
Seelische Gesundheit in Zeiten von Krieg und Pandemie
Die Welt kommt uns bedrohlicher vor. Erfahrungen, die wir zuvor nie gemacht hatten, verunsichern. Wie wirkt sich das auf unsere seelische Gesundheit aus? Ein Psychiater erklärt es euch.
Zu den drängenden Problemen unserer Zeit gibt es viele Fragen. Fragen, die unsere Psyche betreffen - und die wir unter anderem in Tagebuch-Apps festhalten können. Der Psychiater Dr. Harald Krauß leitet die Klinik für Seelische Gesundheit am Marien Hospital in Dortmund-Hombruch. Er fand sehr verständliche Antworten auf die Ungewissheiten unserer Zeit, in der besonders die Ukraine-Krise und Corona die Psyche belastet.
Herr Dr. Krauß, wir leben in herausfordernden Zeiten. Pandemie, Umweltkatastrophen – es fühlt sich so an, als sei das Leben noch deutlich unberechenbarer geworden als es dies ohnehin schon ist. Macht sich das auch in der Psychiatrie des Marien Hospitals bemerkbar?
Ja, bei meinen Patienten und Patientinnen sehe ich schon auch die Folgen der Pandemie deutlich. Das sind nicht nur Verschlechterungen der bestehenden Erkrankungen. Sondern auch völlig neu aufgetretene Beschwerdebilder. Sogar schwerste Erkrankungen wie Psychosen. Letzteres hätte ich selber nicht für möglich gehalten.
Werden Ihre Patienten und Patientinnen jünger? Haben Sie den Eindruck, dass sich gerade in der jüngeren Generation ein Verlust an Widerstandsfähigkeit zeigt?
Es sind alle Altersbereiche gleichermaßen betroffen. Denn das, was uns Kraft gegeben hat, ist häufig weggefallen. Die Freunde oder die Familie konnte man nicht mehr treffen. Nicht mehr gesellig sein. Der Sport ist weggefallen. Vielleicht auch die Arbeit. Zudem gab und gibt es diese unsichtbare und unberechenbare Bedrohung. Womöglich sind enge Freunde oder ein Familienmitglied verstorben.
Bei der Flutkatastrophe war es ähnlich: Aus dem Nichts heraus sind ganze Existenzen völlig vernichtet worden. Mein Zuhause, wo ich mich geborgen fühle, wurde völlig zerstört. Das trifft jeden gleichermaßen.
Gibt es generelle Tipps zum Umgang mit Herausforderungen, wie wir sie im letzten und in diesem Jahr erleben?
Das, was wir generell immer empfohlen haben, „Treiben Sie Sport, treffen Sie Freunde, gehen Sie essen, gehen Sie Ihrem Hobby nach“, greift jetzt nicht mehr. Mehr und mehr müssen wir unsere Stärken wieder in uns finden. Und wir müssen kreativ werden: Wenn ich nicht ins Studio kann, muss ich zu Hause überlegen, wie ich die Fitness-Übungen mit Terra-Band und Wasserflaschen als Hanteln umsetze. Wie ich Kontakte auch online halten kann. Was ich mir selbst Gutes tun kann.
Den Opfern der Flutkatastrophe haben die Solidarität auch von Fremden und die Hilfsbereitschaft von Freunden geholfen.
Behandeln Sie auch Long-Covid-Fälle in Ihrer Klinik? Die psychischen Beeinträchtigungen einer Corona-Erkrankung gehören schließlich auch zu den Langzeit-Folgen.
Im Vordergrund stehen bei Long-Covid-Erkrankungen die doch erheblichen körperlichen Folgen für Lunge, Gefäße, Belastbarkeit und auch Gedächtnis. Psychische Folgen gibt es ohne Zweifel auch, diese stehen aber meist nicht im Vordergrund.
Wie erklären Sie sich als Psychiater, dass angesichts weit über 4 Millionen Covid-Toten weltweit und deutlich mehr als 200 Millionen Menschen, die sich bisher mit dem Virus infizierten, immer noch Querdenker auf die Straßen rennen und die verrücktesten Gedanken lautstark äußern?
Auch wenn ich es nicht teile, so verstehe ich die Menschen. Von uns allen hat so etwas noch niemand erlebt: Die Pandemie ist schwer zu verstehen. Und die Auswirkungen sind für uns alle dramatisch und einschneidend.
Da haben einfache Erklärungen schon einen Charme. Zahlen sind abstrakt. Die RNA-Impfung völlig neu. Vieles ist wirklich schwer zu verstehen. Oft müssen Menschen erst eigene Erfahrungen machen, um eine Gefahr zu erkennen. Nur leider haben die dann häufig gravierende Folgen.
Wie gehen wir mit solchen Corona-Leugnern um, vor allem, wenn wir sogar im Bekannten- oder Verwandtenkreis auf diese Leute treffen?
Es gibt leider Menschen, die so festgefahren sind, dass mit ihnen nicht mehr sinnvoll diskutiert werden kann. Eine solche Diskussion macht dann meine ich keinen Sinn mehr. Diese Menschen müssen ihre eigene schmerzvolle Erfahrung machen. Andere sind einfach überfordert und ängstlich. Solche Menschen kann man in ihren Ängsten ernst nehmen und abholen. Mit ihnen sollte man einfühlsam sprechen.
In Sachen Umwelt macht sich längst ein unbehagliches Gefühl breit, vielfach sogar Angst. Was hilft dagegen?
Na, wenn man den Bericht des Weltklimarates liest, so ist diese Angst in meinen Augen ja völlig berechtigt! Was dagegen hilft? Die Ratschläge des Weltklimarates endlich ernst zu nehmen und massiv umzusteuern. Wenn ich es recht verstehe, dann wird sich durch den Klimawandel vieles für uns alle in gravierendem Ausmaß ändern.
Die Flut ist da nur ein Vorbote. Wir können viel Geld in den Wiederaufbau der kommenden Katastrophen stecken. Oder wir können das Geld vorher in den Umwelt- und Klimaschutz stecken, um die Katastrophen zu vermeiden.
Auch denke ich, dass wir vieles viel globaler betrachten müssen. Bei der Pandemie ebenso wie auch bei der Impfstoffverteilung zur Verhinderung von immer neuen, gefährlicheren Virusmutanten.