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Unterwegs im Kreuzviertel: Was soll der Hype ums Quartier?

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Von: Daniele Giustolisi

Unterwegs im Kreuzviertel: Die Lindemannstraße / Ecke Kreuzstraße. Foto: Daniele Giustolisi/RUHR24
Unterwegs im Kreuzviertel: Die Lindemannstraße / Ecke Kreuzstraße. Foto: Daniele Giustolisi/RUHR24 © Daniele Giustolisi/Dortmund24

Dortmund/NRW - Das Kreuzviertel ist eines der angesagtesten Viertel von Dortmund. Wer dort hinzieht, kann sich glücklich schätzen. Warum dieser ganze Hype ums Viertel?

Das Kreuzviertel ist eines der angesagtesten Viertel von Dortmund. Wer dort hinzieht, kann sich glücklich schätzen. Der Wohnraum ist knapp, die Mieten teuer, das Ansehen hoch. Warum dieser ganze Hype ums Viertel? Wir haben uns vor Ort umgesehen.

Die Schönheit eines Quartiers kommt besonders zum Vorschein, wenn die Sonne scheint, wenn Menschen die Cafés und Straßen bevölkern, das Laub an den Bäumen hängt. All das trifft in diesem so grauen Dortmunder Dezember nicht zu. Das Kreuzviertel kann sich trotzdem sehen lassen - auch bei fünf Grad und ganz dünnem Sprühregen.

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Die Lindemannstraße ist der Broadway des Kreuzviertels, wenn man so will. Hier sieht man und wird gesehen. Und am Anfang dieses Kreuzviertel-Boulevards, da "möllern" sich junge Menschen immer öfter durch die Nächte auf der Möllerbrücke.

Mit hoch zugeknöpfter, schwarzer Kochjacke steht Michael Kourmadias hinter der Theke seines Imbisses "Guttut". Seit zwölf Jahren verkauft der 49-Jährige an der Lindemannstraße Speisen in bio, vegan, vegetarisch - und war damit eine Art Vorreiter in diesem Segment. Heute bekommt man bio, vegan, vegetarisch schön öfter als vor 12 Jahren - gerade im Kreuzviertel.

Weltstar an der Lindemannstraße

Fragt man Kourmadias, was er am Kreuzviertel schätzt, überlegt er nur einen Moment, dann schießt es aus ihm heraus: "Die gastronomische Vielfalt ist toll hier, es gibt viele Einkaufsmöglichkeiten und es ist auch schon eine kleine Insel. Hier lebt bunt gemischtes Volk, man fühlt sich sehr wohl." Die Mischung macht es also offenbar.

Wohl fühlte sich im Kreuzviertel im Juni dieses Jahres offenbar auch eine musikalische Bekanntheit. Kein Geringerer als Bryan Adams kam ins "Guttut" auf ein Vollkornbrot mit Avocado und Zitronensaft hineingeschneit. "Da habe ich im Nachhinein ein bisschen Ärger bekommen", erzählt Kourmadias mit einem Schmunzeln. Offenbar sollte das Selfie des Gastronomen nicht an die Öffentlichkeit gelangen - und machte dann doch die Runde. Sei es drum. Herum gekommen ist dabei übrigens dieses nette Foto:

Mit Frau und Kind sitzt Manuel (33) - schwarzer "Kings of Nuthin"-Pullover, braune, zur Seite geföhnte Haarpracht - am Tisch und lässt es sich gut gehen. Ein bis zweimal die Woche versucht Manuel nach Dortmund ins "Guttut" zu kommen. "Hier kennt jeder jeden", sagt er, auch wenn es sich in den letzten zehn Jahren verändert habe im Viertel. "Es kippt gerade ein bisschen in Richtung Prenzlauer Berg".

Damit meint der 33-Jährige den Berliner Ortsteil, der seit der Wende einen sozialen Wandel durchschritten hat: Vom Arbeitermilieu zum Publikum aus der alternativen Szene. Höhere Einkommensschichten verdrängen dort nach und nach das Proletariat. Eine Entwicklung, die sich auch im Kreuzviertel zeigt. Einst wohnten hier Beamten, heute sind es Ärzte, Akademiker, Studenten.

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Es ist hip, im Kreuzviertel zu wohnen, denn Altbauwohnungen gelten als Chic - und die gibt es hier zuhauf. Das Ganze kombiniert mit der Nähe zur Innenstadt und dem guten gastronomischen Angebot und schon steht bestimmtes Publikum auf der Matte. Da sprechen nicht Wenige von Gentrifizierung - sprich, dem Austausch ganzer Bevölkerungsgruppen.

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Noch gibt sich das Viertel mit seinen vielen Kneipen und Cafés studentisch. Doch die Studenten bleiben häufig nach dem Ende des Studiums, beginnen Familien zu gründen, verdienen gutes Geld. Das hippe Publikum zieht weiteres hippes Publikum an, die Nachfrage an Wohnungen steigt - und damit auch die Preise für die Mieten.

Mit der hohen Dichte an Gutverdienern steigt zeitgleich auch die Zahl der Autos. Kein Wunder, dass das Kreuzviertel für viele Einwohner in Sachen Parkplatzsuche der Horror sein muss.

Dortmunds wohl kleinstes Kaufhaus

Eine, die das Geschehen im Kreuzviertel seit vielen Jahrzehnten beobachtet, ist Mechthild Kemper. Seit 42 Jahren gehört ihr das "Kleine Kaufhaus Kemper" an der Arneckestraße / Ecke Neuer Graben. Eigentlich betreibt die 71-Jährige einen Schreibwarenladen, doch im Sortiment gibt es auch Tabak oder CO2-Kartuschen für die Kohlensäure im Wasser. Früher, als Kempers Schwiegervater den Laden noch betrieb, wurden hier ausschließlich Tabakwaren verkauft. Daher noch die Raucherutensilien - sozusagen als letztes Relikt aus der Vergangenheit.

Erstaunlich: Das gesamte Geschäft wickelt die lokale Bekanntheit ganz ohne Internet ab - und schimpft gleichzeitig auf die digitale Konkurrenz. "Das Internet macht uns zu schaffen", sagt Kemper, an deren Geschäft man auch Pakete der Post liefern lassen kann. "Da ist es sogar schon mal vorgekommen, dass jemand Schreibwaren aus dem Internet bestellt hat und sich hierhin hat liefern lassen", sagt Kemper.

Und warum hat es die Geschäftsfrau hier schon 42 Jahre ausgehalten? "Hier wohnen sehr viel nette Leute und ich habe viele treue Kunden", antwortet Kemper kurz.

Geigenbauer mit schönem Geschäft

Apropos nette Kunden. Ein Kunde von Kemper ist Volker Bley. Der 74-Jährige ist Geigenbauer und hat sein in Dortmund einzigartiges Geschäft an der Arneckestraße/Ecke Schillingstraße. Es wirkt wie die Mischung der Filmkulisse aus "Harry Potter" und der Werkstatt von Meister Eder bei "Pumukl".

Am Eingang, hinter dem Verkaufstresen, präsentiert Bley eine ganze Reihe an Geigen. Im hinteren Teil sind Geigentöne zu hören. Sohn Jonathan probiert direkt die Instrumente aus, die er bearbeitet. Überall stehen kleine Gläser und Behältnisse, Geigen hängen an der Decke, kleine Lampen und große Lampen geben warmes Licht, kleine Holzschränkchen mit Glastüren sind voller Ersatzteile - Reizüberflutung für das ungeübte Auge. "Wir verwalten hier zwischen 4000 und 5000 Artikel", erzählt Volker Bley.

Seit etwa 35 Jahren hat er sein Geschäft nun schon im Kreuzviertel, doch in zwei Wochen endet seine Ära. Jedenfalls als Geschäftsführer. Die Geschicke des Unternehmens übernimmt dann Sohn Jonathan. "Dann kann ich mich endlich nur aufs Handwerk konzentrieren", sagt Volker Bley, der dem Betrieb weiter erhalten bleibt. "Ich bin doch nicht doof und setze mich jeden Tag vor den Fernseher", sagt der Geigenbauer. Und überhaupt: "Stradivari hat auch Geigen gebaut, bis er 94 war." Auf Bley wartet also bestenfalls noch ein halbes Arbeitsleben an der Geige.

Nicht weit von Bleys Geschäft türmt sich die Kreuzkirche in den grauen Dortmunder Dezember-Himmel. Das Gotteshaus ist Namensgeber für das Quartier, das in seinen Abgrenzungen so schwierig zu fassen ist.

Das Gebiet, das am ehesten als "Kreuzviertel" zu bezeichnen wäre, erstreckt sich wohl zwischen Sonnenstraße im Norden und der B1 im Süden sowie der Hohen Straße im Osten und der Lindemannstraße bzw. die Große Heimstraße im Westen. In der Realität wird der Begriff "Kreuzviertel aber wohl viel freier verwendet. Findige Markler geben selbst Wohnungen am Westpark den Stempel "Kreuzviertel", um offenbar den Wert der Immobilie zu steigern.

Das Kreuzviertel, es ist ein schönes Viertel. Eines, womit sich in Zukunft immer mehr Geld verdienen lässt. Doch es sind nicht nur Hipster, die das Viertel prägen. Es sind auch die Alteingesessenen wie Mechthild Kemper oder Volker Bley. Es gibt sie. Zwar nicht an vorderster Front, sondern in den Nebenstraßen. Aber gerade das macht das Kreuzviertel auch so liebenswert. Andernfalls wäre es wohl ein Ort ohne Seele.

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