Faktencheck
Schießt die Polizei in NRW wirklich öfter auf Menschen, als früher?
Aktuell scheinen sich Einsätze zu häufen, bei denen Polizisten auf Menschen schießen. Manche gehen tödlich aus. Doch was sagt die Statistik?
Dortmund – Der dramatische Polizeieinsatz um den getöteten 16-Jährigen in Dortmund sorgt seit Wochen für Aufsehen. Jetzt haben Beamte in Geseke auf einen bewaffneten Mann geschossen, er überlebte. Viele vermuten nun, dass die Polizisten in NRW immer öfter zur Waffe greifen. RUHR24 hat sich die Zahlen angeschaut.
In NRW sterben jedes Jahr etwa 3 Menschen durch Schüsse der Polizei
Die Wahrscheinlichkeit, in Nordrhein-Westfalen durch eine Polizeikugel getötet zu werden, ist gering. Das zeigt ein Bericht des Innenministeriums an den Landtag vom 15. November 2022.
Demnach haben Polizeibeamte in NRW seit 2012 genau 155 Schüsse auf Personen abgegeben. 33 Menschen starben dadurch. Dieses Jahr liegt mit 20 Schüssen leicht über dem Durchschnitt. Mehr Tote gab es dabei bislang aber nicht.
Deutlich angestiegen ist die Zahl der Schüsse bereits im Jahr 2017. Damals drückten die Beamten 25 Mal ab. Zu mehr Toten führte dies jedoch nicht. In der vergangenen Dekade starben im Schnitt drei Personen durch Kugeln aus Polizeiwaffen.
Polizisten in NRW werden immer häufiger selbst angegriffen
Keine Frage: jeder Mensch, der durch eine Polizeiwaffe getötet wird, ist einer zuviel. Dennoch ist die Zahl der Toten beinahe erstaunlich niedrig, schaut man sich die schiere Menge an Einsätzen an.
Durchschnittlich muss die Polizei in NRW jedes Jahr rund 4,6 Millionen Mal ausrücken. Nicht immer wird es dabei brenzlig. Doch vergangenes Jahr leisteten Personen in 6.600 Fällen Widerstand oder attackierten die Beamten sogar.
Auch die Polizisten müssen dabei ordentlich einstecken. Seit 2017 werden jährlich rund 18.000 Beamte Opfer von Gewalt. Offenbar gelingt es der Polizei in den meisten dieser Fälle, die Situation ohne den Einsatz der Dienstwaffe zu entschärfen.
Das bedeutet für die vergangenen elf Jahre: Nur alle 29.000 Einsätze gibt die Polizei in NRW einen Schuss ab. Das ist erstaunlich, weil tätliche Angriffe zuletzt massiv zugenommen haben.
Wann die Polizei in NRW die Dienstwaffe gebrauchen darf
Zudem sind die Hürden hoch, bis Beamte überhaupt zur Waffe greifen dürfen. In NRW müssen in der Regel zunächst andere Maßnahmen wie Deeskalation oder auch nicht-tödliche Waffen wie Pfefferspray und Taser zum Einsatz kommen. Führen alle anderen Mittel nicht zum Ziel, ist die Pistole das schärfste Zwangsmittel, das die Polizei nutzen kann.
Laut Polizeigesetz NRW darf die Dienstwaffe nur eingesetzt werden, wenn:
- Andere Maßnahmen erfolglos sind oder keinen Erfolg versprechen.
- Personen angriffs- oder fluchtunfähig gemacht werden müssen.
- Personen allem Anschein nach älter als 14 Jahre sind (außer bei Gefahr für Leib und Leben).
Ein Schuss, der sehr wahrscheinlich tödlich endet, ist laut Gesetz nur dann erlaubt, „wenn er das einzige Mittel zur Abwehr einer gegenwärtigen Lebensgefahr oder der gegenwärtigen Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung der körperlichen Unversehrtheit ist“.
Polizisten dürfen auch dann nicht schießen, wenn Unbeteiligte gefährdet werden könnten – außer bei Gefahr für Leib und Leben.
In NRW gab es zuletzt nicht deutlich mehr Schüsse oder Tote durch Waffen der Polizei
Damit ist klar, dass die Quote der Schüsse pro Einsatz vergleichsweise gering ist. Wer sich in NRW bewegt, muss in der Regel schon einiges an Widerstand leisten, damit die Polizei zur Waffe greifen darf.
Berichte wie jener üben den in Dortmund getöteten Mouhamed D. lassen zwar aufhorchen. Sie verzerren aber etwas das Bild, das man von tödlichen Einsätzen der Polizei in NRW hat. Dass diese deutlich zugenommen hätten, geht aus den aktuellen Zahlen nämlich nicht hervor.
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