Historisches Datum
Vor 100 Jahren: Als die Franzosen in Dortmund einmarschierten
Im Januar 1923 besetzten Franzosen und Belgier das Ruhrgebiet. Ein Denkmal im Westpark in Dortmund erinnert an eine tragische Episode aus jener unruhigen Zeit
Dortmund – Nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg musste die junge Weimarer Republik Zahlungen an die Siegermächte leisten. Deutschland geriet in den frühen 20er Jahren des 20. Jahrhunderts mit diesen Reparationszahlungen in Verzug. Daraufhin besetzten am 11. Januar 1923 Franzosen und Belgier das Ruhrgebiet – auch Dortmund.
Ruhrbesetzung im Jahr 1923: Franzosen und Belgier besetzen Dortmund, Bochum und andere Städte
Von Januar 1923 bis Juli/August 1923 lebten die Menschen zwischen Duisburg und Dortmund in einem permanenten Ausnahmezustand. Überfälle und Übergriffe durch Besatzungssoldaten, Ausgangssperren, Straßenkontrollen und Einquartierungen sowie Grenzsperren zu unbesetzten Gebieten und dem Ruhrgebiet waren für mehr als zwei Jahre der Alltag. Insgesamt starben rund 130 Zivilisten (mehr News zu Dortmund bei RUHR24).
An die Geschichte der sogenannten „Dortmunder Bartholomäusnacht“ erinnert ein eher unscheinbarer Block mit sechs langgezogenen Kreuzen im Westpark in Dortmund. Am 10. Juni 1923 – inmitten der Besetzung durch die alliierten Truppen – erschossen französische Soldaten sechs Dortmunder und einen Schweizer Staatsbürger, der offenbar mit der Gruppe unterwegs war.
Warum „Bartholomäusnacht“?
Die ursprünglichen Bartholomäusnacht fand vom 23. auf den 24. August 1572 in Paris statt. Es handelte sich um ein Pogrom an französischen Protestanten, den Hugenotten. Der Begriff Bartholomäusnacht ist im Gedächtnis der europäischen Geschichte fest verankert und ist häufig ein Motiv in Literatur, Kunst oder – wie in dem Fall der Dortmunder Bartholomäusnacht – historischer Ereignisse.
Zahlreiche Hugenotten fanden im Übrigen knapp ein Jahrhundert später, in der Zeit nach 1685, auf preußischem Gebiet eine neue Heimat.
Doch wie konnte es dazu kommen? Der Tod der sechs Dortmunder und des Schweizers wird offenbar als Reaktion auf die Ermordung zweier Adjutanten der französischen Besatzung in der Wilhelmstraße in Dortmund in den frühen Morgenstunden des 10. Juni 1923 verstanden. Die Franzosen haben am darauffolgenden Tag eine Ausgangssperre von 21 Uhr bis 5 Uhr initiiert.
Zahlreiche Dortmunder und Dortmunderinnen machten am Sonntag einen Ausflug und bekamen die Information offenbar nicht mit. Ohne Vorwarnung sind sie von französischen Soldaten niedergeschossen worden – das geht aus den Informationen der Stadt Dortmund über das Denkmal hervor. Nach Bericht eines Augenzeugen ereigneten sich die Erschießungen, wie in der Sammlung „Die Dortmunder Bartholomäusnacht. Berichte und Dokumente“ steht, in der Sonnenstraße.
Ruhrbesetzung 1923 durch Frankreich und Belgien: Soldaten erschießen sechs unschuldige Dortmunder
Die ermordeten Dortmunder wurden auf dem alten Westfriedhof, dem heutigen Westpark, bestattet. Insgesamt 50.000 Menschen versammelten sich am 15. Juni 1923. Auch SPD-Politiker und Reichspräsident Friedrich Ebert sendete seine Beileidswünsche.
Doch wie kam es zu einer Spirale der Gewalt im Ruhrgebiet, bei der insgesamt über den Zeitraum der Besetzung circa 130 Zivilisten aus Dortmund, Bochum, Essen und den anderen Ruhrgebietsstädten den Tod fanden?
Die Reichsregierung rief die Bevölkerung zum passiven Widerstand gegen die Besatzer auf. Die Reparationszahlungen erlagen. Sowohl rechte als auch linke Kräfte, aber auch einfache Bürger, leisteten mit Attentaten, Sprengungen von Gleisen oder Brücken und anderen Sabotageaktionen ebenfalls Widerstand.
Ruhrbesetzung 1923: Folgen für die Einwohner in Dortmund, Bochum, Essen und Duisburg waren fatal
Die Folgen waren für die Menschen im Ruhrgebiet fatal. Es kam zu der ersten großen Inflation, zu Armut und zu immer wieder aufkeimenden Zusammenstößen zwischen Einwohnern in Dortmund und den anderen Städten sowie Soldaten aus Frankreich und Belgien. Erst im Sommer 1925 und mit Druck aus England und den Vereinigten Staaten endete die Besatzung.
Vom 12. Januar bis 6. August 2023 findet im Essener Ruhrmusem zu dem Thema der Ruhrbesetzung eine Sonderausstellung statt, die vom Besatzungsalltag und den Erfahrungen der zwischen Duisburg und Dortmund stationierten Soldaten erzählt.
Rubriklistenbild: © United Archives International/Imago, Marian von Hatzfeld/RUHR24