Klinikchef berichtet

Kinderklinik in Dortmund: Krankheitswelle legt extreme Systemwunden offen

Die Kinderklinik in Dortmund ächzt unter der aktuellen Krankheitswelle bei Kindern. Doch weder die Influenza noch RS-Virus sind das eigentliche Problem.

Dortmund – Zweimal wird das Gespräch mit Klinikdirektor Prof. Dr. med. Dominik Schneider, Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin (Pädiatrie), verschoben. Es seien wichtige Gespräche dazwischen gekommen. Aktuell befinden sich sowohl das Klinikum in Dortmund als auch die Praxen der Kinder- und Jugendärzte in der Stadt am Limit. Oder eher schon darüber hinaus, wie RUHR24 erfahren hat.

Dortmunder Kinderklinikum am Limit: Heftige Krankheitswelle trifft auf Personalmangel

Um 1 Uhr am Donnerstagmorgen ist Doktor Schneider noch einmal durch die Notfallambulanz im Klinikum gelaufen. Dort haben um die 12 Kinder und Jugendliche gesessen. Die Situation sei angespannt. Natürlich, so der Experte für Kinder- und Jugendmedizin, sei die Krankheitswelle heftig und vielleicht auch gravierender als in den vergangenen Jahren. Aber das sei nicht das eigentliche Problem (mehr News aus Dortmund bei RUHR24).

Es gebe einfach zu wenig Pflegepersonal im Klinikum Dortmund in der Pädiatrie. Er könne, so Dominik Schneider, auf Anhieb um die 50 neue Mitarbeiter einstellen. Das Problem beschränkt sich aber nicht nur auf das Ruhrgebiet, oder NRW. In ganz Deutschland haben Kliniken Personalmangel.

Politisch sei in den vergangenen Jahren so einiges schiefgelaufen. In den vergangenen 20 Jahren gibt es 25 Prozent weniger Betten und 20 Prozent weniger Kinderkliniken. Das sei zu wenig, um der kritischen Krankheitswelle aktuell gerecht zu werden.

Dominik Schneider bedient sich im Gespräch mit RUHR24 zwei Metaphern, um die extreme Situation zu verdeutlichen. Das Personal sei wie Don Quijote und kämpfe gegen Windmühlen. Man habe dabei nicht nur begrenzte Möglichkeiten bei den Mitarbeitern, sondern auch bei den Räumen.

Kinderklinikum in Dortmund: Personal muss „Bettentetris“ spielen – Kinderärzte überlaufen

Man müsse „Bettentetris“ spielen, um der Lage Herr zu werden. Hinzu kämen Hilferufe aus anderen Städten in NRW, die mittlerweile keine Kinder und Jugendliche mehr aufnehmen können. Teilweise müsse man bis zu vier Kinder auf ein Zimmer legen, was wiederum eine zusätzliche Belastung für die Patienten bedeutet.

Prof. Dr. med. Dominik Schneider hat Tipps, was ihr tun könnt, wenn euer Kind krank ist.

Nach Informationen der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) mit Sitz in München haben (Stand: 1. Dezember 2022) von 110 Kinderkliniken 43 Einrichtungen kein einziges Bett mehr auf der Normalstation frei. Generell gebe es noch 83 freie Betten –- das sind 0,75 freie Betten pro Klinik. Das sei laut DIVI-Generalsekretär und Kinder-Intensivmediziner Prof. Florian Hoffmann eine katastrophale Situation. Das Hauptproblem: Personalmangel.

Der Pflegeberuf durchläuft einen Exodus, erklärt Dominik Schneider. Die Kliniken befinden sich in einer Situation, in der die Schere zwischen Bedarf an Arbeitskräften und dem vorhandenen Personal jedes Jahr weiter auseinander geht. Kurzum haben die vergangenen Jahre gezeigt, dass immer weniger Pflegekräfte Abschlüsse machen.

Zudem kommen andere Probleme. Der Pflegejob habe sich im Vergleich zu vor 20 bis 30 Jahren verändert. Er sei wissenschaftlicher geworden, man habe die Anforderungen hochgeschraubt. Das sogenannte Fallpauschalensystem habe zudem dafür gesorgt, dass man Personal abbauen musste, um Leistungen zu verdichten. Das Resultat: Stress und schwierige Arbeitsbedingungen für die übriggebliebenen Arbeitskräfte, so der Dortmunder Mediziner.

Krankheitswelle trifft auf katastrophale Personalprobleme im Klinikum Dortmund

Und was ist mit den aktuell grassierenden Krankheiten RS-Virus und Influenza? Natürlich handele es sich, so Dominik Schneider, um eine schwere Welle. Es stimme, dass zahlreiche Immunsysteme aktuell nicht so gut trainiert seien. Allerdings habe es auch in der Vergangenheit schwere Wellen gegeben.

Aus Sicht des Dortmunder Mediziners Dominik Schneider sei es jedoch ein systemisches Problem, mit dem die Kliniken und Kinderärzte in Deutschland zu kämpfen haben. Über das spricht auch der ehemalige Pressesprecher des Klinikums Dortmund Marc Raschke in einem ausführlichen Instagram-Beitrag.

Gibt es Hoffnungen auf Besserungen? Laut Spiegel, der dazu einen Artikel Ende Oktober veröffentlicht hat, will Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) eine schnelle Verbesserung in der Kinderheilkunde in Deutschland. Im Umkehrschluss sollen die Kinderkliniken mehr Geld bekommen. Das steht zumindest im Koalitionsvertrag. Allerdings hilft das in der aktuellen Situation noch nicht weiter und es bleibt abzuwarten, wie Veränderungen am bestehenden System angepackt werden.

Das Coronavirus (COVID-19) spiele laut Dominik Schneider in der aktuellen Krankheitswelle nur eine Nebenrolle. Man habe zwei Kinder in der jüngsten Vergangenheit mit Corona in Dortmund gehabt. Die habe man am schnellsten wieder entlassen können.

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