Dortmunder für 50 Minuten tot – Alex (31) kämpfte um „Bonusleben“
Alex aus Dortmund „geht es so gut, wie ewig nicht mehr“. Nach einem Unfall und einer Schockdiagnose im April 2015 ist das für ihn ein Wunder. Ein Porträt.
Dortmund – Dienstagabend in einer Wohnsiedlung in Dortmund-Husen: Der Wind schlägt gegen die Hauswand eines Mehrfamilienhauses, es klingelt. Eine Kamera leuchtet auf. „Warte, ich komme runter“, sagt eine Stimme aus Lautsprechern. Wenig später öffnet sich eine Fahrstuhltür. Ein junger Mann fährt hinaus. Er sitzt im Rollstuhl. Im Kontrast zu seinen dunklen Haaren leuchtet sein Pulli in den Farben eines Basketballs.
Alex aus Dortmund lebt nach Unfall „ein Zusatzlevel“
Linke Hand, rechte Hand: Abwechselnd dreht der Dortmunder die Räder am Stuhl. „Moin mein Lieber“, sagt Alex, als er über die Türschwelle rollt. „Ich muss kurz zum Auto, wir waren gerade im Baumarkt“ fügt er hinzu. Am Fahrzeug angekommen, legt er einen Schlauch und Kabelkanäle auf seinen Schoß. Gekonnt schiebt er sich zurück zum Haus und manövriert sich in den Fahrstuhl (mehr News aus Dortmund bei RUHR24).
Oben angekommen, öffnet Alex Freundin die Tür einer Dachgeschosswohnung. „Kommt rein! Hier ist gerade noch ein wenig Baustelle“, sagt Julia. Die beiden gebürtigen Kamener sind erst vergangenen Monat (März 2023) von Düsseldorf zurück nach Dortmund gezogen. Für Alex ist sein heutiges Leben dabei nicht selbstverständlich. „Das ist wie ein Zusatzlevel, da muss ich schon realistisch sein“, sagt der 31-Jährige im Gespräch mit RUHR24. Aber was war passiert?

„Volleyballtraining, zusammengebrochen, 50 Minuten reanimiert“ – Dortmunder lag zwei Tage im Koma
Im April 2015 wacht Alexander Goebel in einem Krankenhaus auf und weiß nicht, wo er ist. „Volleyballtraining, zusammengebrochen, 50 Minuten reanimiert“, steht auf einem Zettel an seinem Krankenbett. Zwei Tage lag der damals 23-Jährige im Koma.
Nach einem Schmetterball bleibt Alex auf dem Hallenboden liegen. Ein Ball schlägt neben seinem Gesicht ein – keine Reaktion. Zwei Mitspieler schalten sofort und suchen vergeblich den Puls ihres Mannschaftskameraden. Sie reanimieren Alex zehn Minuten lang. Dann treffen die Rettungskräfte ein und machen weiter. Insgesamt 50 Minuten war der Dortmunder klinisch tot. Dann wurde er ins künstliche Koma versetzt.
Schockdiagnose für Alex aus Dortmund: „Schlaganfall, Hirnblutung und inkomplette Querschnittslähmung“
Acht Jahre später zieht sich Alex im Arbeitszimmer zwei Orthesen an. Die Schienen sehen aus wie mechanische Beine. „Damit kann ich mich halbwegs frei bewegen. Den Rollstuhl nutze ich nur für große Strecken oder zum Tragen“, sagt der Dortmunder und fügt hinzu: „Man fällt auch mal auf die Schnauze, aber das passiert.“
Gestützt auf Krücken, richtet sich Alex aus dem Rollstuhl auf. Nach und nach bewegt er die Gehhilfen und seine dünnen Beine in den Orthesen. Dann setzt er sich ins mit Sonnenlicht geflutete Wohnzimmer und erzählt über den Unfall aus 2015: „Ich hatte beim Volleyballtraining eine Herzmuskelentzündung und bin umgekippt. Während der Reanimation erlitt ich eine inkomplette Querschnittslähmung, einen Schlaganfall und eine kleine Hirnblutung.“
Zwei Tage Koma, 14 Tage Intensivstation und fünf Jahre Therapie – Dortmunder kämpft sich ins Leben zurück.
Nach zwei Tagen Koma, 14 Tagen Intensivstation und fünf Jahren Therapie hat sich der Dortmunder wieder in sein Leben zurückgekämpft. „Du wirst mit 23 Jahren aus dem Leben gerissen und in eine Situation geworfen, die einen dazu zwingt, schneller erwachsen zu werden – auch wenn Julia das vielleicht nicht ganz so sieht“, sagt Alex und lacht. Vor allem die jahrelange Therapie sei kräftezehrend gewesen.
Fünf Tage die Woche, bis zu fünf Stunden am Tag: Bis 2020 trainierte Alex im Ambulanticum Herdecke, einem Zentrum für Menschen mit neurologischen Erkrankungen. „Gerade für Leute, denen etwas Ähnliches passiert ist, ist das eine super Adresse. Ich habe da echt viel gelernt“, sagt der Dortmunder. Weil viele Leute das Ambulanticum nicht kennen würden, entschied er sich dazu, ein Videotagebuch zu führen. Die Aufnahmen hat Alex auf Youtube veröffentlicht.
Video: Tagebuch Alexander Goebel im Ambulanticum Herdecke:
Alex aus Dortmund: „Die Kraft geht natürlich nicht nur von mir alleine aus. Ich hatte viel Unterstützung.“
Während Alex über die Intensivtherapie erzählt, weiten sich seine Augen: „Ich habe da unglaubliche Fortschritte in wenigen Wochen gemacht und das wollte ich zeigen und vielleicht nützt es ja anderen Patienten.“ Wieder so zu leben, wie er es heute tut, habe viel Kraft gekostet. „Das geht natürlich nicht nur von mir alleine aus, ich hatte immer krasse Leute, die mich unterstützen“, sagt der Dortmunder in einem ernsten Ton.
„Ob das jetzt meine Eltern, Freunde oder Julia waren, alle haben mir viel Last abgenommen“, betont Alex und guckt auf die Couch zu seiner Freundin. Julia und Alex kannten sich schon aus der Schulzeit und sind erst nach dem Unfall zusammengekommen. Sie beschreibt ihren Freund als sehr hilfsbereit, lösungsorientiert und mehr als nur empathisch. Alex lacht und stimmt ihr zu.
„Früher war ich ein emotionaler Stein“ – Dortmunder sieht in seinem Schicksal auch Positives
„Klar, würde ich den Unfall rückgängig machen, wenn ich es könnte, aber ich habe dadurch so viele positive Ereignisse erfahren und auch eine gewisse charakterliche Stärke und Eigenschaften entwickelt“, sagt der Dortmunder und fügt hinzu: „Früher war ich ein emotionaler Stein. Als ich dann Menschen gesehen habe, die im Rollstuhl saßen und nach vier Wochen Therapie eine Treppe heruntergelaufen sind, habe ich mir schonmal einen zurecht geheult.“
Im April 2023 hat der Dortmunder aber mehr vorzuweisen, als nur charakterliche Stärke. Nur ein Jahr nach seinem Unfall schloss Alex seinen Bachelor in BWL in Hamm ab. Danach machte er noch einen Master. Heute arbeitet er als Programm-Manager bei einem großen Online-Händler. Dabei kümmert er sich aus dem Home-Office um Zahlungsprozesse für Sub-Unternehmer. Auch während des Gesprächs mit RUHR24 muss der 31-Jährige in ein Meeting mit Kollegen aus Amerika.

Dortmunder verwandelt Schicksalsschlag in Bonusleben
Für die Zukunft hat der Dortmunder auch schon Pläne: „Julia und ich bauen gerade einen Rettungswagen zum Reise-Van um.“ Im Sommer 2023 wollen die Beiden unter anderem nach Portugal und Frankreich fahren. Eine gewisse Ironie lässt sich dabei nicht verneinen.
Alex aus Dortmund verwandelt nicht nur ein Fahrzeug, das auch ihn rettete, in einen Lebenstraum. Sondern auch einen Schicksalsschlag in ein Bonusleben.
Am späten Abend öffnet sich Alex ein Bier und setzt sich mit Julia auf die Couch. Beide BVB-Fans freuen sich über die Niederlage des FC Bayern gegen den Manchester City. Danach verabschieden sie sich.