Kommentar
„Protest der Klima-Kleber in Dortmund kann nicht vehement genug sein“
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Die „Letzte Generation“ ist nun auch in Dortmund aktiv, ihre Aktivisten kleben an den Straßen. Völlig zurecht, findet unsere Autorin. Ein Kommentar.
Dortmund – Offiziell hat Klima-Aktivistin Greta Thunberg „Fridays for Future“ 2018 gegründet. Seitdem sind nicht nur junge Menschen mit ihr auf die Straße gegangen. Die Forderung: Das auf der Weltklimakonferenz 2015 in Paris (COP 21) beschlossene 1,5-Grad-Ziel soll eingehalten werden. Schon 2017 wurden die Chancen dafür als niedrig eingestuft. Auf die Straße gehen und „Schule schwänzen“ reicht lange nicht mehr aus, damit die Politik endlich durchgreift. Die „Letzte Generation“ klebt nun auch in Dortmund – und das völlig zurecht.
„Letzte Generation“ protestiert in Dortmund – und das völlig zurecht
Der Protest von „Fridays for Future“ gilt mittlerweile als größtenteils regelkonform. Was als aufsehenerregendes Demonstrieren während der Schulzeit begonnen hat, wird derzeit eher durch größere Proteste wie dem globalen Klimastreik oder Aktionen wie in Lützerath 2023 wahrgenommen. Die Bewegung setzt auf sozialen Ungehorsam.
Denn realistisch passiert ist in Sachen Klimaschutz sowohl weltweit als auch in Deutschland wenig. Themen werden auf Verbraucher umgelenkt, statt die Industrie und Unternehmen in die Verantwortung zu ziehen. Einzelpersonen sollen keine Plastikstrohhalme und bevorzugt Mehrweg im Supermarkt verwenden, während RWE weiter Dörfer für fossile Energieträger wie Braunkohle platt machen darf.
Längst ist klar: Als Verbraucher muss man sich Klimaschutz leisten können, etwa wenn man längere Reisen mit der vergleichsweise oft teureren Bahn statt mit dem Auto oder Flugzeug antritt. Aber richtig teuer wird es erst, wenn Klimaschutz nicht schnellstmöglich konsequent angegangen wird.
Klimaschutz und Klimawandel: Warum Proteste und vor allem Handeln notwendig sind
Denn die Klimakrise hat laut dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz bis 2021 bereits 145 Milliarden Euro gekostet. Schuld daran sind nicht etwa umgesetzte Maßnahmen, sondern Dürre, Hitze und Fluten. Wie die im Ahrtal 2021, deren Auswirkungen finanziell ausgeglichen werden mussten.
Doch nicht nur für den Staat wird es teuer. Auch Verbraucher werden die Klimakrise wahrscheinlich nicht nur körperlich, sondern auch finanziell zu spüren bekommen. Was passiert, wenn wichtige Korn-Lieferanten wegbrechen, hat der Angriffskrieg auf die Ukraine bereits gezeigt. Naturkatastrophen können auch in anderen Teilen der Welt Auswirkungen auf die Ernährungssicherheit haben.
Klima-Demos der „Letzten Generation“: Gründe für den Protest sind bedeutsam
Umweltkatastrophen sind laut UNO außerdem ein direkter Auslöser für große Fluchtbewegungen von Menschen. Mit weniger bewohnbaren Gebieten auf der Welt dürfte sich auch die Wohnungsmarkt-Situation massiv verschlechtern. Verheerend: Besonders schlecht wird es voraussichtlich dann den Leuten gehen, die schon jetzt nicht in Saus und Braus leben.
Besserverdiener bemerken die Auswirkungen wahrscheinlich langsamer. Über Klimaschutz sprechen bedeutet deswegen auch immer, über Klassismus sprechen zu müssen.
Wem die Corona-Pandemie und der zugehörige Lockdown gut gefallen hat, der kann sich mit höheren Temperaturen wohl auf mehr davon freuen. Laut EU-Kommission trägt der Klimawandel eine Mitschuld an der Ausbreitung von Covid-19. Außerdem steht der schmelzende Permafrost im Begriff, längst vergessene Krankheitserreger und Bakterien freizusetzen, wie etwa Stern schon 2020 berichtete. Wenn all das auf dem Spiel steht, kann der Protest nicht vehement genug sein. Wer das nicht versteht, dem geht es noch zu gut.
Klima-Protest in Dortmund: „Letzte Generation“ begeht bewusst Straftaten
Genau hier kommt die „Letzte Generation“ aktuell ins Spiel. Wer ein wichtiges Anliegen hat, muss Aufmerksamkeit mit der Blockade des Alltags von vielen generieren. Das haben die auswirkungslosen Proteste von „Fridays for Future“ gezeigt. Friedliche Demos mit Schildern und die offensichtlichen Sorgen einer jungen Generation reichen der Politik nicht.
Die „Letzte Generation“ setzt da an, wo es Verbrauchern in der Klima-Diskussion wehtut: beim Auto und der Straße. Dabei blockiert die Organisation vermutlich auch den Arbeitsweg von Unbeteiligten, vor allem aber nimmt sie die Arbeitskraft der Polizei deutlich in Anspruch und lenkt so die nötige Aufmerksamkeit der Regierung endlich auf sich.
Das Argument, dieser Protest würde Rettungsgassen behindern, hebelt die „Letzte Generation“ offiziell übrigens selbst aus. „Wir wollen auf gar keinen Fall, dass jemand zu Schaden kommt, wir sagen der Polizei immer Bescheid vorher und stehen in Kontakt“, so Sprecherin Aimeé van Baalen im Interview mit dem Youtube-Kanal „Jung und naiv“. Rettungswagen sollen demnach nicht blockiert werden, für sie werde die Straße frei gemacht. Offiziell ist dieser Vorwurf also ausargumentiert. Ob das in der Realität auch immer klappt, lässt sich nur schwer beantworten.
„Letzte Generation“ protestiert in Dortmund: Klimaschutz kann nicht laut genug gefordert werden
Besonders berücksichtigen sollte man bei der Debatte aber: Die Klima-Aktivisten kleben sich nicht zum Spaß an den Straßen fest. „Ich würde mir selber wünschen, dass ich nicht meine eigene körperliche Unversehrtheit und meine Zukunft aufs Spiel setze“, sagt etwa van Baalen.
Und auch sie bestätigt gegenüber web.de, dass andere Formen des Protests bisher nicht gefruchtet haben: „Wenn man nur vor dem Bundestag steht, was viele von uns jahrelang gemacht haben, dann kriegt die Bevölkerung davon nichts mit. Das braucht es aber, damit eine gesamtgesellschaftliche Diskussion entsteht, die Druck auf die Politik macht. Letztendlich sitzen wir alle im selben Boot, und das Boot droht zu kentern.“
Klimaschutz ist ein Grundrecht. Für junge Erwachsene, für Kinder, für jeden. Die Politik sollte endlich anfangen, das Thema auch so zu behandeln. Wenn ein Wachrütteln erst durch klebende Menschen auf der Straße geschieht, sind nicht die Aktivisten das Problem.
Eine andere Meinung zu den Protesten der Klima-Kleber der „Letzten Generation“ hat RUHR24-Redakteur Tobias Arnold.
Hinweis: Dieser Kommentar entspricht der Meinung der Autorin und muss nicht zwingend die Ansicht der gesamten Redaktion widerspiegeln.
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