Relikte der Vergangenheit
Korrosion an Hunderten Blindgängern unter Dortmund „kann Gefahr darstellen“
Im Ruhrgebiet werden immer wieder Blindgänger aus dem Zweiten Weltkrieg gefunden – auch in Dortmund. Die Gefahr ist noch lange nicht gebannt.
Dortmund – Noch heute, fast 80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, werden immer wieder Blindgänger im Boden gefunden – besonders im Ruhrgebiet. Wenn die städtischen Behörden wieder einmal auf einen Fund hinweisen und ganze Wohnviertel evakuiert werden müssen, schlägt die Stunde des Kampfmittelbeseitigungsdienstes. Ein Sprecher der für Dortmund zuständigen Bezirksregierung Arnsberg weist auf eine besondere Gefahr hin.
In Dortmund schlummern noch Blindgänger unter der Erde – Stadt wurde besonders schwer bombardiert
Der Dreischritt – Bombenfund, Evakuierung und Entschärfung – gehört im Ruhrgebiet fast schon zum Alltag vieler Menschen. Besonders in Dortmund kommen immer wieder Blindgänger aus dem Zweiten Weltkrieg zum Vorschein. Ende Januar 2023 wurde wieder einmal eine Weltkriegsbombe im Westfalenpark gefunden – die Entschärfung verlief reibungslos.
Schließlich war Dortmund laut Hans Bekemeier, zuständig für den Kampfmittelbeseitigungsdienst Westfalen-Lippe (KBD-WL), die am schwersten bombardierte Stadt im Ruhrgebiet. Wie das Internet-Portal „Westfälische Geschichte“, betrieben vom LWL-Institut für westfälische Regionalgeschichte, erklärt, erlebte Dortmund am 12. März 1945 „den schwersten Luftangriff, der während des Zweiten Weltkriegs auf eine europäische Stadt geflogen wurde“.
Genau 100 Bombenblindgänger wurden 2021 und 2022 in Dortmund gefunden
4800 Tonnen Spreng- und Minenbomben legten die Stadt in Schutt und Asche – zumindest was von ihr überhaupt noch stand. Dortmunds Innenstadt war dem Portal zufolge schließlich bereits beim Großangriff in der Nacht vom 6. auf den 7. Oktober 1944 völlig zerstört worden.
Kein Wunder also, dass in den vergangenen Jahren immer wieder Blindgänger, aber auch Granaten oder Minen bei Bauarbeiten zum Vorschein kamen. Gegenüber RUHR24 erklärt Christoph Söbbeler von der Bezirksregierung Arnsberg, dass im Jahr 2021 insgesamt 54 Objekte, 2022 demgegenüber 46 Bombenblindgänger in Dortmund gefunden wurden.
Zum Vergleich: Im Jahr 2019 haben Sprengmeister in NRW nach Angaben der Landesregierung 2160 Bomben geräumt und unschädlich gemacht.
Entschärfungen in Dortmund verliefen reibungslos – KBD-WL rückt immer wieder aus
Die gute Nachricht: Anders als in anderen Fällen kam es bei keiner Entschärfung in Dortmund in den vergangenen zwei Jahren zu Unfällen. Diese sind zwar selten, können aber verheerende Folgen haben: Wie der Nordkurier berichtet, kamen in Göttingen im Jahr 2010 drei Mitarbeiter eines Kampfmittelbeseitigungsdienstes bei der Detonation eines Blindgängers ums Leben. Als 2021 eine Fliegerbombe in München explodierte, wurden mehrere Menschen verletzt.
Der eigentliche Schutz der Bevölkerung vor Bomben oder Munition im Boden ist deutschlandweit eine Aufgabe der Städte und Gemeinden. Doch wenn ein Blindgänger bei Bauarbeiten gefunden wird, hilft die Bezirksregierung mit speziell ausgebildetem Personal und entsprechender Technik.
Von der Kriegsluftbildauswertung und der Kampfmitteldetektion/-ortung über die Kampfmittelräumung bis hin zur Kampfmittelvernichtung – sofern er hinzugerufen wird, kümmert sich der Kampfmittelbeseitigungsdienst Westfalen-Lippe (KBD-WL) in Dortmund um diese vier Bereiche. In manchen Fällen kann er auch präventiv tätig werden, vor allem vor geplanten Baumaßnahmen.
Rund 675.000 Tonnen Sprengstoff über NRW abgeworfen – Bombenzünder können mit den Jahren korrodieren
Nach Angaben der NRW-Landesregierung wurden zwischen 1939 und 1945 rund 675.000 Tonnen Sprengstoff über dem heutigen Bundesland abgeworfen. Das entspricht in etwa der Hälfte der rund 1,3 Millionen Tonnen Sprengmittel, die während des Krieges über dem Deutschen Reich abgeworfen wurden. Experten vermuten, dass circa 15 Prozent der Bomben Blindgänger waren.
Dass diese Blindgänger seit nunmehr Jahrzehnten in der Erde liegen und das Material mit den Jahren immer instabiler wird, ist laut Experten durchaus ein Grund zur Sorge. Auch in Dortmund können die Zündsysteme der Blindgänger mit der Zeit korrodieren.
Blindgänger in Großstädten Dortmund oder Bochum in den allermeisten Fällen ungefährlich – Bauvorhaben als Risiko
Laut Söbbeler kann diese Korrosion „eine Gefahr darstellen, da bei der Entfernung der Zündsysteme eine erhöhte mechanische Kraft aufgewendet werden“ müsse. Immerhin: Von den im Boden liegenden Blindgängern gehe in den meisten Fällen keine größere Gefahr aus. Anders sehe das aus, wenn die Zünder von Blindgänger bei Bauvorhaben berührt werden.
Die Sprengstoffkörper, die damals nicht detonierten, müssen allerdings in bombardierten Städten wie Dortmund oder Bochum auch in Zukunft „mühsam gesichert, entschärft und entsorgt werden“. Wenn eine Entschärfung nicht möglich ist, erfolgt eine kontrollierte Sprengung.
Der Vorgang erinnert an die berühmt-berüchtigte Suche nach der Nadel um Heuhaufen – nur dass man hier nicht weiß, wie viele Nadeln es überhaupt gibt. Niemand weiß genau, wie viele Sprengstoffkörper noch im Boden schlummern, das Thema wird also auch in Dortmund in den kommenden Jahrzehnten omnipräsent bleiben (mehr News aus Dortmund bei RUHR24).
Dortmunder sollten beim Blindgänger-Fund schnell handeln – und sich stets informieren
Denn die Bergung und Entschärfung von Blindgängern wurde in NRW erst ab 1965 dokumentiert. Und da seit 1966 in etwa 5.000 bis 6.000 Tonnen Blindgänger in NRW geborgen werden konnten, wird es wohl auch noch viele Jahre dauern, bis Städte wie Dortmund oder Bochum komplett sicher sind.
In jedem Fall sollte die Bevölkerung stets wissen, was bei einem Bombenfund zu tun ist. Über die Nina-Warn-App, Lautsprecherdurchsagen, Ansprachen von Polizei und Ordnungsamt, Twitter-Meldungen der einzelnen Städte und Kommunen oder Nachrichten im Lokalradio und in den Medien sollten sich Bewohner stets informieren – und im Zweifel bereit sein, ihre Wohnungen zu verlassen.
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